EBG → Leben → Der Blick auf die Birs hält Jung
Der Blick auf die Birs hält Jung
Interview mit Anna und Tamara (Siedlung Birs) ; EBG Jahresbericht 2014
Text: Claudia Kocher | Fotos: Anna (Album) Stephanie Wells (Porträts)
Tamara (37) besucht mit ihrer kleinen Tochter die bald 100-jährige Anna in ihrer Wohnung an der Birsstrasse. Anna erzählt, wie sie den Zweiten Weltkrieg in der EBG erlebt hat und wie anstrengend das Wäschewaschen damals noch war. Die zweijährige und die 100-jährige Anna verstehen sich blendend und posieren zusammen für die Fotografin. Tamara schildert die Begegnung.
Anna Schmid-Lang (23), an der Birs (1938)
Meisterin bei der Bata Schuhfabrik in Möhlin, erste Reihe vorne, erste von rechts (1934)
Anna Schmid-Lang mit Tochter Marlies, an der Birs (1938)
mit Tochter Marlies und Nachbarskind, an der Birs (1939)
mit Sohn Richard, Garten Birsstrasse 190 (1956)
Die Birs – es gibt immer etwas zu sehen
«Anna wirkt auf mich nicht wie eine Frau von hundert Jahren. Sie scheint um einiges jünger – wahrscheinlich weil in ihrem Kopf noch so vieles in Bewegung ist. Das Gehen bereitet ihr zwar etwas Mühe, aber sonst ist sie sehr fit. Für unseren Besuch hat sie einen wunderbaren Gugelhopf gebacken. Sie weiss sich zu unterhalten und zu beschäftigen. Und der Blick auf die Birs und die Birsstrasse hält ihr Interesse wach, denn es gibt immer etwas zu sehen. Auch zur Hofseite hin sorgen die vielen Kinder für Abwechslung. Lustig ist, dass auch unsere Tochter Ella gerne am Fenster steht und das Leben an der Birs beobachtet. Die Wohnung von Anna gefällt mir, die Möbel sind schön und alt, die Bilder an den Wänden stecken voller Erinnerungen. Die Wohnung ist nicht riesig, aber sehr gemütlich.
Sich stets aufeinander verlassen
Ich erlebe Anna als offene Person. Ich glaube, sie hätte gerne noch mehr Kontakt zu den Menschen in ihrer Umgebung. Sie mag Kinder und weiss viel zu erzählen. Nachdem sie geheiratet hatte, zog sie mit 23 Jahren aus der Nähe von Möhlin hierher an die Birsstrasse. Das war 1938. Während des 2. Weltkriegs mussten sie nachts die Fenster mit schwarzen Tüchern abdunkeln, während über ihnen die Bomber vorbeizogen. Diese Erfahrung machte ihr grosse Angst. Früher, erzählt mir Anna, sei in der Wohnung alles sehr viel einfacher gewesen, von den sanitären Anlagen bis zur Küche. Von 1948–1951 wurde die Siedlung Birs modernisiert: Jede Wohnung erhielt ein Bad mit Badewanne und Toilette sowie fliessend warmes Wasser (auch in der Küche). Beeindruckend an ihrer Schilderung fand ich vor allem, wie viel enger der Kontakt der Menschen in der Genossenschaft offenbar war. Man konnte sich stets aufeinander verlassen und musste sich nicht zweimal fragen, ob man jemanden um Hilfe bitten soll. Dieser gute Zusammenhalt von einst ist heute loser geworden und Anna hat nicht mehr sehr viele Kontakte.
Heute genügt ein Knopfdruck
Das Verhältnis zu den Nachbarn ist zwar immer noch gut, allerdings kennt sie vor allem jene, die wie sie, schon sehr lange hier wohnen. Auch über das Wäschewaschen haben wir gesprochen. Anna meinte, wir wüssten ja gar nicht, wie bequem, ja luxuriös wir es mit unseren modernen Maschinen heute hätten. Um damals warmes Wasser zu bekommen, musste zuerst der Ofen angefeuert werden. Heute genügt ein Knopfdruck. Die Schmids hatten drei Kinder und wohnten zu fünft in einer 3-Zimmer-Wohnung. Ich selbst wurde in einer 4-Zimmer-Wohnung gross, und wir waren zu sechst. Also das Verhältnis stimmt. Jetzt wohnen wir zu dritt in einer 3-Zimmer-Wohnung, irgendwann werden wir zu viert sein . . .
Es macht das Leben einfacher und schöner
Wüsste ich, dass ich mit hundert so fit und so gesund wäre wie Anna, könnte ich mich mit Gelassenheit auf das Älterwerden freuen. Ich kann mir auch vorstellen, immer in derselben Wohnung zu bleiben. Ich wohne gerne hier, mir gefällt die Nähe zur Birs. Es läuft immer etwas, die Kinder mögen es, im Hof zu spielen und die Stimmung im Wohnhaus ist ausgeglichen: Wir lassen einander in Ruhe, besuchen uns aber auch gegenseitig. Im Moment möchte ich es nicht anders haben. Ich finde, wir wohnen sehr komfortabel.
Von der Begegnung mit Anna nehme ich mit, wie wichtig es ist, die Kontakte zu den Nachbarn zu pflegen. Es macht das Leben einfacher und schöner, wenn man Rücksicht aufeinander nimmt und Respekt voreinander hat.»
Anna, ist am 25. November 1915 geboren. Sie arbeitete als Meisterin bei der Bata Schuhfabrik in Möhlin. Mit ihrem Mann Eugen, der Elektriker bei den BVB war, hatte sie drei Kinder. Seit 1993 ist sie Witwe. Anna wohnt in der Birsstrasse.
Tamara, 38-jährig, wohnt mit ihrem Partner und der gemeinsamen Tochter in der Birsstrasse. Aufgewachsen ist Tamara in der EBG in Birsfelden.