Dienst im Paradies

Interview mit Miroslav, Siedlung Schützenmatte
100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft beider Basel Jubiläumsbuch, 2011
Text: Claudia Kocher | Fotos: Ursula Sprecher

Bereits als 21-jähriger kam Miroslav (Jahrgang 1967) in die Schweiz. Es war 1988 und der gelernte Tiefbautechniker sah im damaligen Jugoslawien beruflich keine Zukunft. Er entschied sich für Basel, weil hier bereits eine Tante und ein Onkel von ihm lebten. Da gerade Kranführermangel herrschte, fand er rasch eine Stelle, wurde geschult und verdiente bald sein eigenes Geld. Fünfzehn oder sechzehn Jahre lang lebte er in Kleinbasel an der Hammer-, der Klingental- und der Feldbergstrasse. Mit 35 Jahren lernte er über Verwandte seine zukünftige Frau Vladenka kennen, die, wie er, aus Sarajevo stammt. 2002 siedelte sie zu Miro in die Schweiz über. Dann wurden Daja und Stefan geboren. Miro wollte seine Kinder aber nicht im unteren Kleinbasel aufwachsen lassen, weil er sich zunehmend Sorgen machte über Kriminalität und Drogenhandel. Als er erfuhr, dass es Genossenschaften gebe, bei denen man als Hauswart arbeiten könne, besorgte er sich die Liste sämtlicher Genossenschaften in der Region. 152 Adressen. Diese Liste bewahrt Miro immer noch in einem Ordner auf – obwohl er seine Traumstelle längst gefunden hat.Erst schrieb er einige Blindbewerbungen. Dann fiel ihm ein Inserat auf, das unter Chiffre erschienen war: Eine Genossenschaft suchte einen Hauswart im Nebenamt. Dazu gehörte eine Viereinhalb-Zimmer-Wohnung. «Ich hatte keine Ahnung, wo das war.»

Von den zahlreichen Bewerbern wurden acht ausgewählt, sich eine Wohnung der EBG an der Oberalpstrasse anzusehen. Die Abwartwohnung selbst wurde gerade renoviert. Als Miro die Anlage zum ersten Mal sah, sagte er gleich: «Hier ist es wie im Paradies.» Die 117 Quadratmeter grosse Wohnung und die Umgebung behagten die Familie ausserordentlich. «Ruhig ist es. Und sauber.» Und die Miete günstig: 1746 Franken inklusive Tiefgarage. Nach zwei, drei Besprechungsterminen musste er vor den EBG-Vorstand treten und diesen davon überzeugen, dass er der richtige Mann für die Stelle sei. Er war es.

Der Generationenwechsel kommt
Anfangs sei er eingeschüchtert gewesen, habe Respekt vor der neuen Arbeit gehabt. Wie würden ihn die Bewohner empfangen? er hatte Glück: Sein Vorgänger arbeitete ihn tadellos ein, erklärte ihm alles Technische und stellte ihn den Mietern vor. «Ich konnte es ein halbes Jahr später noch immer nicht glauben, wie nett alle zu mir waren.» Die Leute hätten in kurzer Zeit Vertrauen zu ihm gefasst. 2007 zogen die Familie mit den beiden Kindern und mit Miroslavs Mutter in die Schützenmatt-Siedlung ein.

Um den grossen Esstisch im einen Zimmer kreist das Leben der Familie. Vom Balkon aus geht der Blick auf die Oberalpstrasse. In Omas Zimmer befindet sich die Spielecke der sechsjährigen Tochter. Die beiden Kinder teilen sich ein Schlafzimmer. Die Stube ist zwar gross, doch Sofa, Tisch und Wohnwand füllen den Raum mühelos aus. Überraschend ist der Wintergarten zur Gartenseite. Er ist breit und lang und bietet Platz für einen weiteren Kaffeetisch. Und an Waschtagen hängt hier die Wäsche. Besonders lohnend ist ein Blick in den Hof: ein lauschiger Ort, fast schon eine Oase. Da er abgeschlossen ist, können die Kinder gefahrlos spielen. «Langsam aber sicher gibt es in der Siedlung einen Generationenwechsel», weiss Miro. Erste Anzeichen sind schon da. Eine neu zugezogene Familie habe vor kurzem vorgeschlagen, einmal im Monat im Aufenthaltsraum etwas für die Kinder im Haus zu organisieren. Hinzu kommt ein neuer Spielplatz: «Wenn der erst einmal fertig ist, wird der Garten auch mehr belebt sein».

Miro wollte bald mehr arbeiten als die 25–30 Prozent als Hausverwalter im Nebenamt und fing an, sich weiter zu bewerben. Doch die Suche gestaltete sich schwierig, da man in der Siedlung, die man betreut, meist auch wohnen muss. Wieder hatte er Glück: Die EBG-Geschäftsstelle plante, einen Haustechniker im Vollamt anzustellen. Miro bekam den Job und ist heute hauptberuflich für die Siedlungen Birs/Lehenmatt, Sternenfeld I sowie die Siedlung Schützenmatte, in der die wohnen, zuständig. Für diese Siedlung an der Oberalp-/General Guisan-Strasse erledigt seine Frau denn auch die Reinigungsarbeiten. Daneben hat sie eine 80-Prozent-Stelle als Kioskleiterin auswärts. Wie gut, wohnt auch die Oma bei der Familie und kümmert sich um die Kinder, wenn die Eltern aus dem Haus sind.

 

Immer auf Achse
Und wieviel arbeitet ein vollamtlicher Haustechniker tatsächlich? Miro lacht. Zweihundert Prozent seien es letztes Jahr gewesen. «Aber das war die Anfangszeit.» Wie dringend gewisse Arbeiten seien, habe er anfänglich nicht richtig einschätzen können. «Ich kannte auch die Mieterschaft nicht gut genug.» Jetzt habe sich das normalisiert. Doch es gebe viel zu tun. Die Hausordnung muss eingehalten werden. Dann sind da Reparaturen jeglicher Art. Gerade habe er die Gartenbänke der Birs-Siedlung in der Werkstatt, schleife diese ab und lackiere sie neu. Auch der Garten der Schützenmatt-Siedlung wird umgebaut. Überall packt der Haustechniker fleissig an. Nachts komme es immer wieder mal zu Notfällen: Ein Wasserrohrbruch, ein Stromausfall, ein Lift, der stecken bleibt. Seinen Occasionwagen mit dem EBG-Logo sieht man häufig vor irgendeiner der Siedlungen stehen – wenn Miro nicht gerade unterwegs ist, um Baumaterial einzukaufen oder zu entsorgen.


Immer im Dienst
Natürlich sei es schwierig, unter diesen Umständen abzuschalten. Er sei quasi immer im Dienst. Doch das störe ihn nicht. «Es war mir bewusst, als ich die Stelle annahm.» Ausserdem glaubt er, dass es nun ein wenig ruhiger werde. Gerade die Heizperiode sollte nächsten Winter ohne grössere Probleme über die Bühne gehen. Solange der Vorstand und die Mieterschaft mit seiner Arbeit zufrieden seien, werde er auf jeden Fall hier bleiben. «Ich bin sehr zufrieden, das Arbeitsklima in der Geschäftsstelle ist sehr gut. Entschieden wird immer demokratisch». Für ihn fühlt es sich immer noch ein bisschen so an, als würde er seinen Dienst nicht in irgendeiner Siedlung, sondern im Paradies verrichten.

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