Das war eine heisse Zeit – wir fuhren da noch mit Dampf

Interview mit Hansruedi, Siedlung Birs
100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft beider Basel Jubiläumsbuch, 2011
Text: Claudia Kocher | Fotos: Ursula Sprecher

Schon von weitem präsentiert sich die Siedlung einladend gepflegt. Der Rasen frisch gemäht, die Rosen in prächtiger Blüte. Hier an der Birs begann die EBG vor hundert Jahren mit dem Bau ihrer ersten Wohngenossenschaft, der Siedlung Birs/Lehenmatt. Die Lage am Fluss ist attraktiv, der Blick geht weit. Das fanden auch die Familie, als sie 1960 der Genossenschaft beitraten. Hansruedi (Jahrgang 1939) stammt aus Bärau im Emmental. Dort hatte er Maschinenmechaniker gelernt, bevor er 1960 der Arbeit wegen nach Basel kam. Bei der Bahn wurde er anfänglich als Führergehilfe beschäftigt. «Das war eine heisse Zeit. Wir fuhren da noch mit Dampf.» Oft kehrte Hansruedi Wüthrich an den Wochenenden ins Emmental zurück. In einem Wirtshaus dort gefiel ihm ein Mädchen, die im Service arbeitete. Sie stammte aus dem aargauischen Mellingen und wurde bald darauf seine Frau. Zusammen zogen sie nach Basel. Hansruedi erkundigte sich nach einer Bleibe. Arbeitskollegen rieten ihm, sich für eine Wohnung bei der EBG zu bewerben. Zwei Jahre später erhielten er und seine Frau Monika im Haus an der Birsstrasse 216 eine kleine Zwei-Zimmer-Dachwohnung für 140 Franken monatlich. «Der Vormieter fand wegen der Dachschräge keinen Platz mehr für seine Möbel, er zog aus und wir kamen rein», erzählt Hansruedi. Und auf diesem kleinen Raum begann nun die Familie zu wachsen.

Liebe zur Mansarde

Erst als das Paar drei Kinder hatte, zog es in die Drei-Zimmer-Wohnung an der Birsstrasse 204, in der es nun schon seit fast fünfzig Jahren lebt. «Zuerst schliefen alle drei Kinder im Kinderzimmer», erinnert sich Monika an die etwas beengenden Wohnverhältnisse. Als die Knaben grösser waren, durften sie in der Mansarde nächtigen. Noch später erhielten beide Buben ihre eigene Mansarde, während die Tochter unten blieb. «Es hatte aber keine Toilette im Dachstock, im Sommer waren die Zimmer brütend heiss, im Winter war es kalt.» Doch die Buben hätten allen Unannehmlichkeiten getrotzt und ihr Reich unter dem Dach verteidigt.

Obwohl die Kinder längst nicht mehr zu Hause wohnen, sind in den Mansarden immer noch Betten aufgestellt. So können die Familie problemlos ein Gästebett anbieten wenn sie jemand besuchen kommt. Vor einigen Jahren wurde die Wohnung renoviert und das Bad, das vorher Teil der Küche war, versetzt. Nur eine offene Küche wollten sie nicht. So kann Monika in der Küche tätig sein, und ihr Mann in der Stube nebenan ungestört fernsehen. Oder die zahllosen Zinnbecher in der Wohnwand betrachten, die aus der Zeit stammen, als er im Eisenbähnler-Kegelclub aktiv war. Daneben pflegte Hansruedi ein anderes Hobby intensiv: Das Schiessen mit Pistole und Gewehr. Die vielen Abzeichen des erfolgreichen Schützen wetteifern mit der Puppensammlung seiner Frau um Aufmerksamkeit.


Die Nacht von Schweizerhalle
Aus dem ehemaligen Kinderzimmer ist Hansruedis Arbeitszimmer entstanden. An der Wand hängt ein Bild, das von weitem aussieht wie ein surrealistisches Gemälde. Beim Näherkommen sieht man Schienen, darüber lodert eine Feuersbrunst. Es dokumentiert die wohl denkwürdigste Nacht für viele Eisenbähnler: Schweizerhalle, am 1. November 1986. Hansruedi Wüthrich hatte da zwar gerade keinen Dienst, das Foto stammt von einem Kollegen. Es hängt in einigen Eisenbähnler-Wohnungen, als stumme Mahnung und Erinnerung an eine lange Nacht. Wegen des Brandes wurden nicht nur die Arbeiten auf dem Rangierbahnhof von Muttenz, sondern auch der Eisenbahnverkehr von und nach Basel eingestellt. Erst gegen sechs Uhr morgen nahmen die SBB den Betrieb wieder auf.

Überhaupt Erinnerungen: In der Stube der Wüthrichs steht eine Krokodillokomotive en miniature, die die Kinder dem Vater zur Pensionierung geschenkt hatten. Eine solche Elektroloki, meint Monika, sei ihr Mann ab und zu gefahren.

Schon längst verschwunden waren Ende der sechziger Jahre aber die Dampflokomotiven. Hansruedi fuhr da nur noch Diesel – und eben elektrisch. Nebst dem Bewegen mächtiger Stahlrösser fand der Bähnler auch Gefallen am Hantieren in kleineren Dimensionen. 1976 gehörte Hansruedi zu den Gründungsmitgliedern des Bastelclubs an der Lehenmattstrasse. «Zuerst wurde ich Beisitzer, dann Kassier, dann Präsident.» Bis letztes Jahr war er im Vorstand tätig. «Anstatt rumzuhängen, wollten wir in der Freizeit etwas Sinnvolles unternehmen.» So werkelte er an einer Einbauküche, zimmerte ein Kajütenbett für die Kinder und richtete die Mansarden mit eigens gefertigten Möbelstücken ein. Es sei damals ja nicht viel Geld da gewesen, um Möbel zu kaufen. Monika bedauert es, dass heute kaum mehr gebastelt werde – wahrscheinlich weil das Holz teurer geworden sei. Das zeigt sich auch an den Mitgliederzahlen: 46 waren es in den besten Zeiten. Heute sind nur noch 18 aktiv.

Der Bastelclub verfügt über eine hochprofessionell eingerichtete Werkstatt mit Fräsmaschine, Drechslerbank, einem Holz- und einem Leimraum sowie einer Presse. «An den Maschinen musste jedermann ausreichend instruiert sein», so Hansruedi. Kinder durften nur in Begleitung Erwachsener in die Werkstatt. Auch war die Nutzung des Raums den Mitgliedern, also Genossenschaftern, vorbehalten. «Schliesslich stellte uns die EBG die Räume gratis zur Verfügung.» Auch Strom und Heizung kosteten nichts. Im Gegenzug habe man auch gewisse Arbeiten für die EBG ausgeführt. «Das ging gut auf.» Heute ist Hansruedi Wüthrich jedoch froh, dass er keine Verantwortung mehr für den Club hat, obschon es eine super Zeit war, wie er sagt. In all den Jahren habe es nie einen schlimmen Unfall gegeben. Und natürlich hoffe er, dass der Club wieder Nachwuchs erhalte. Das Leben in der Genossenschaft war auch sonst durch viel Einsatz geprägt. Die Familie halfen im Garten oder beim Bau der Garage. «In einer Genossenschaft hilft man einander», sagt Monika. Doch mit dem Alter nahm ihr Anteil an der gemeinnützigen Arbeit ab. Heute schaue sie noch zu den Blumen und den Rosen im Vorgarten – mit sichtbarem Erfolg.

Als sich Hansruedi nach 35 Dienstjahren wegen Hörproblemen pensionieren liess, nutzte das Ehepaar die neu gewonnene Freizeit, um sich auf einem Campingplatz einzurichten. Bei schönem Wetter sind die Wüthrichs deswegen eher selten an der Birsstrasse, sondern häufiger am Bielersee anzutreffen.

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