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Hier aufzuwachsen war schon toll
Interview mit Conny, Siedlung Birs
100 Jahre Eisenbahner-Baugenossenschaft beider Basel Jubiläumsbuch, 2011
Text: Claudia Kocher | Fotos: Ursula Sprecher
Die Wohnung: Drei Zimmer, Wintergarten, Küche, Bad. Im Dachstock zwei Mansarden. Die Miete: 1120 Franken. Die Bewohner: Conny (52), Karl (51), Salome (18), Tabea (15). Eine Violine und ein Cello. Birsstrasse 196, da war Conny ein Kind; Lehenmattstrasse 229, dito; Birsstrasse 200, erste eigene Wohnung; Birsstrasse 182, nun verheiratet, wurde es eng mit zwei Kindern; Birsstrasse 186, nun zusätzlich mit zwei Mansarden. Die wichtigsten Stationen im Leben von Conny liegen sehr nahe beieinander. Und alle im Einflussbereich der EBG. Selbst dies liegt nahe, denn ihr Vater arbeitete bei der Bahn. Natürlich gab es da auch mal einen Welschland-Aufenthalt dazwischen. Doch seit 2002 hat sich die Familie definitiv an der Birsstrasse 186 niedergelassen.
Conny, Salome und Tabea, sitzen bei tropischer Hitze im Wintergarten, den Blick in den grünen Hof getaucht. Erinnerungen steigen auf. Salome: «Es ist schon speziell, mit so vielen Kindern im Quartier aufzuwachsen.» Tabea: «Wir kennen die meisten, die hier wohnen.» Salome: «Es hatte aber vor allem Buben.» Das Tolle war, sagt Conny, dass die Kinder alle gemeinsam in den Kindsgi gehen konnten. «Für in die Primarschule war der Treffpunkt bei der Schaukel.» «Es war nicht weit», erzählt Salome schmunzelnd, «aber für den Weg brauchten wir trotzdem eine halbe Stunde.» Tabea: «Viele müssen heutzutage zehn Minuten laufen, bis sie schon nur bei einem Spielplatz sind.»
Ihr Spielhof lag direkt vor ihrer Tür; er war das Herz der Siedlung. Zumindest für die Kinder. In den warmen Monaten trafen sie sich dort regelmässig zum Velo fahren, Ball spielen, Seil hüpfen oder Stelzen laufen. Conny: «Und manchmal habt ihr unten eine Decke ausgebreitet und dort zu Abend gegessen.» Salome: «Wir wollten sogar mal im Hof ein Zelt aufschlagen und draussen übernachten. Das durften wir aber nicht.» Salome: «Hier aufzuwachsen war schon toll.» Und praktisch, denn es gab immer jemanden vom Haus, der auf die Kinder aufpasste. Conny: «Das war ein riesiger Vorteil. Gerade wenn man mal mit einem Kind zum Arzt musste.»
Seit einem Jahr ist Conny Müller Siedlungsvertreterin für Genossenschaftsfragen. Sie hilft zum Beispiel bei einem Wohnungswechsel neue Mieter zu suchen, die sich aktiv in der Genossenschaft beteiligen wollen, sei es im Garten oder beim Siedlungstreff. Zu ihrer Aufgabe gehört es auch, bei runden Geburtstagen im hohen Alter den Leuten persönlich zu gratulieren. Auch wenn ein Baby zur Welt kommt, schaut Conny Müller vorbei und beglückwünscht die Eltern.
«Mit einem Fragebogen versuchten wir letztes Jahr zu eruieren, welche Bedürfnisse die Bewohner haben und ob sie zufrieden sind», sagt Conny. Das Resultat ist ziemlich schmeichelhaft: Die meisten Leute fühlen sich wohl, nur wenige wollen im Alter wegziehen. Höchstens wären sie bereit, in eine kleinere Wohnung zu ziehen. «Im Reglement steht auch, dass die Genossenschafter die Treppe und den Waschraum reinigen müssen», erzählt sie. «Weil es jedoch Leute gibt, die dies aus Alters- oder anderen Gründen nicht mehr können, versuchen wir Leute von der Genossenschaft zu motivieren, gegen Entgelt diese Arbeiten zu verrichten.»
Wichtigste Ansprechsperson
Zuvor war Conny sechs Jahre Hausverwalterin der Siedlung Birs, und damit die wichtigste Ansprechperson, wenn etwas fehlte oder organisiert werden musste. Es hatte ganz gemächlich angefangen, erinnert sich Conny. Mit Waschkarten aufladen oder Schlüssel hüten. Später kamen immer mehr Aufgaben hinzu. Sie organisierte Handwerker, half bei der Wohnungsabgabe oder suchte nach Ausweichmöglichkeiten, wenn jemand wegen einer Sanierung die Wohnung vorübergehend räumen musste. An manchen Tagen ging es drunter und drüber. Doch das war einmal. Ihre Zeit als Hausverwalterin ist heute vorbei: Die Siedlung ist an Miro Vukovic als vollamtlichen Haustechniker übergegangen. «Ich habe hier verschiedene Etappen erlebt», erzählt Conny. «Es galten früher strengere Regeln als heute. Am Sonntag war es den Kindern strikt untersagt, draussen zu spielen. Auch durfte nicht jede Rasenfläche genutzt werden. Das ist heute nicht mehr so. Heute müssen die Kinder im Sommer auch nicht schon um zwanzig Uhr im Haus sein. Solange der Lärmpegel nicht zu stark ansteigt, dürfen sie in den Schulferien bis 22 Uhr im Hof bleiben.» Die ehemalige Krankenpflegerin Conny betreut nicht nur intern die «Fachstelle für Wohnen über Generationen».
Sie engagiert sich darüber hinaus im neuen Projekt der Nachbarschaftshilfe. Dabei werden die unterschiedlichen Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner abgeklärt: Wer leert den Briefkasten während den Ferien, wer giesst die Blumen, wer kann Einkäufe erledigen? Eine Gegenleistung dürfe dafür allerdings nicht erwartetet werden, so Conny. Dann ist eine Wohnungsführung angesagt. Stolz zeigt Salome ihre Dachmansarde. «Mein Zimmer ist das Herzstück der Wohnung», sagt sie ohne falsche Bescheidenheit. Tabea hält dagegen: «In diesem Chrüsimüsi könnte ich nicht leben. Für mich hat's da zu viel Sachen drin.» Sie selber wohnt einen Stock tiefer, im gleichen Geschoss wie die Eltern, die ihr dafür das grössere der beiden Schlafzimmer überlassen haben. «Ich durfte damals nicht nach oben, weil ich schlafwandelte», erklärt Tabea. Salome: «Du weisst gar nicht, was für Vorteile es hat, hier oben zu wohnen. Hier habe ich meine Ruhe.» Tabea: «Dafür kann ich mich unten ausbreiten.» Salome: «Hier oben hat es aber noch problemlos Platz für ein Gästebett ...»
Früher das Archiv der EBG
In der zweiten Mansarde, die früher als Bastel- und Nähraum genutzt wurde, ist heute Tabeas Musikzimmer. Hier übt sie Cello. Daneben bietet der Raum Platz für das Verstauen von Familienerinnerungen. In der dritten Mansarde befand sich einst das Archiv der EBG, bevor alles Material an den Stausee nach Birsfelden gezügelt wurde. Als Conny noch Hausverwalterin war, nutzte sie es zudem als Büro. Neben den Mansarden befindet sich schliesslich noch der alte Trocknungsraum für die Wäsche. Aber auch Tabea ist glücklich mit ihrem Zimmer. Darüber ist wiederum Salome froh. «Stell dir vor, du hättest einen Freund und müsstest dein Zimmer mit deiner Schwester teilen.» Für eine Familie mit zwei Kindern, findet Conny Müller, sei die Wohnung eng und nicht unbedingt zu empfehlen. «Heutzutage sind die Raumansprüche ganz andere als früher.» Auch sie hätten sich einst überlegt, eine grössere Wohnung zu suchen. Doch das hätte bedeutet, aus der Siedlung wegzuziehen. Dagegen protestierten die Kinder. Sie hatten schon so viele Freunde hier. Auch sonst bereuen sie es ganz und gar nicht, hier geblieben zu sein.